Jean-Baptiste Willermoz – Die vollständige Regel der neun Punkte

Jean-Baptiste Willermoz
Jean-Baptiste Willermoz

Die vollständige Regel der neun Punkte

Jean-Baptiste Willermoz

PROLOG

O du, der du gerade in den Schoß der Weisheit eingeweiht wurdest! Kind der Tugend und des Friedens! Gib unseren Worten ein offenes Ohr und lass deine Seele sich für die Lektionen der Wahrheit öffnen! Wir werden dich den Weg zu einem glücklichen Leben lehren; wir werden dir die Ekstase, die deine Quelle hervorruft, lehren! Wir werden dich lehren, mit Vitalität und Erfolg alle Fähigkeiten zu kultivieren, die dir die Vorsehung anvertraut hat, und dich so zu einem Helfer der Menschheit und einem Teilhaber an den Geheimnissen und Segnungen des Göttlichen machen.

ARTIKEL I – PFLICHT GEGENÜBER GOTT UND RELIGION

(1) Deine erste Huldigung gehört dem Göttlichen. Bete das majestätische Wesen an, welches das Universum durch einen Akt seines Willens erschaffen hat, das unaufhörlich in allem wirkt, Derjenige, Der dein Herz erfüllt, aber Den dein enger Verstand weder begreifen noch definieren kann. Bedaure die erbärmliche Verblendung dessen, der seine Augen vor dem Licht verschließt und im Tal der Schatten wandelt, und öffne dein Herz für den Ewigen. Lehne mit Verachtung jene eitle Spitzfindigkeit ab, die den menschlichen Geist erniedrigt, wenn er von seiner Quelle abweicht. Erhebe deine Seele immer über die materiellen Dinge, die dich umgeben, und richte deinen Wunsch auf die Wohnstätten des Himmels, denn sie sind dein Erbe und deine wahre Heimat. Widme Gott deinen Willen und dein Verlangen: Mache dich seiner belebenden Kräfte würdig und erfülle so die Gesetze, die du in deinem Beruf als Mensch auf Erden erfüllen sollst. Deine Ekstase ist in Gott, in der Entzückung, für immer mit Ihm wiedervereint zu sein. Dies ist der Gipfel all deiner Ambitionen und der Kompass deiner Handlungen.

(2) Aber wie sollst du vor den Augen des Ewigen stehen bleiben, du von solch zerbrechlicher Verfassung? Wie, frage ich, wenn du in jedem Moment vom Weg des Ewigen abweichen und deine eigene Heiligkeit verunreinigen kannst, obwohl dir jederzeit die Unendlichkeit angeboten wird? Wenn du dich den Launen der begrenzten Fähigkeiten der Vernunft unterwirfst, kannst du in deiner Zukunft irgendeinen Trost sehen? Wie geht es dir im Vergleich zum Bild des Ewigen? Sei dankbar und vergiss nie die unendlichen Möglichkeiten der Wiedergeburt und Regeneration. Demütige dich selbst in dem lebendigen Logos, dem Wort in der Erweiterung, und segne die Vorsehung dafür, dass du in einer Zeit und an einem Ort geboren wurdest, wo der Weg der Erleuchtung für dich offen liegen sollte. Bekenne dich überall zur Göttlichen Religion: zur Religion der Wahrheit. Und beuge weder deinen Rücken noch deine Knie vor Scham darüber, dass du in seine ewigen Reihen gehörst. Das Evangelium unserer Verpflichtungen ist Wahrheit, und wenn du nicht wahrhaftig bist, hörst du auf, ein Eingeweihter zu sein. Verkünde durch all deine Handlungen eine erleuchtete und kraftvolle Hingabe. Verkünde ohne Heuchelei, ohne Fanatismus, dass der Weg nicht nur über Wahrheiten spekuliert: Denn es ist die Praxis der Wahrheit, die dich und alle deine moralischen Pflichten definiert. So wird die Wahrheit dich lehren, dich und deine Mitmenschen leiten und dir Freude und Glück bescheren. So wirst du nie zittern, weder vor den Augen der Menschen noch vor dem Thron Gottes.

(3) Die Wahrheit ist die Grundlage für alles, und die Ritter der Wahrheit kämpfen nur für Liebe und Wohltätigkeit. Die Heiligkeit dieser Religion kann nur durch Hass geschändet werden. Deshalb verfolgen wir nicht, sondern lassen alles hinter uns: Alle werden vor dem Maßstab und Urteil des Ewigen stehen; wir suchen nur Zufriedenheit durch Duldung. Mystiker! Kinder eines einzigen Gottes, vereint durch einen gemeinsamen Glauben an eine einzige Wahrheit! Das Band, das uns verbindet, ist nur Liebe, und diese intime Kette von Allem, vereint uns, wie sie jeden Hass und jedes Vorurteil gegen die Menschheit beseitigt.

ARTIKEL II – UNSTERBLICHKEIT DES GEISTES

(1) Mensch! König der Welt! Meisterwerk der Schöpfung, den der Ewige durch seinen Atem belebte! Meditiere über deine erhabene Erwählung. Alles um dich herum: Alles, was lebt, sowohl das pflanzliche als auch das tierische Reich, stirbt mit der Zeit und ist deinem Reich unterworfen: deinem unsterblichen Geist. Dein geheimes Zentrum ist Eins, Alles, und entspringend aus dem Schoß des Göttlichen, und es wird alle materiellen Dinge überleben und niemals sterben. Das ist das wahre Kennzeichen deines Adels, das lebendige Siegel deines Glücks. Das hast du vergessen. Und durch den Stolz deines Geistes stürztest du dich in den Abgrund des Vergessens. Durch deinen eigenen Willen hast du dich selbst erniedrigt! Was bist du jetzt, trotz deiner ursprünglichen und gegenwärtigen Größe, im Vergleich zum Ewigen? Bete das Unendliche an, während du dich im Sumpf der endlichen Welt befindest. Trenne vorsichtig dein himmlisches unzerstörbares Prinzip von den Fremdstoffen, aus denen du jetzt zusammengesetzt bist. Kultiviere deinen unsterblichen Geist und vervollkommne deine Seele, sodass diese heilige Salbung ein Tempel des reinen Lichts sein wird, wenn du von deinem Sein aus die Dämpfe der groben Materie freisetzt. So wirst du von den Ketten der Sklaverei befreit werden, Glück in diesem Schoß des Unglücks erlangen, unerschütterlich in den Stürmen des Lebens; und du wirst ohne Angst sterben.

(2) Eingeweihter! Wenn du jemals an der unsterblichen Natur deines Geistes und dem Adel deines Erbes zweifelst, wäre die Initiation für dich fruchtlos. Du würdest aufhören, das angenommene Kind der Weisheit zu sein, und du würdest verloren in der Menge der materiellen Wesen und profan sein, tastend nach dem Licht im Abgrund der Dunkelheit.

ARTIKEL III – PFLICHT GEGENÜBER DEM REGIERENDEN UND DEINEM HEIMATLAND

(1) Der Ewige erschuf den Menschen, aufdass er ein Herrscher auf Erden sein möge, und der Mensch hat daher Herrscher aus seinen eigenen Reihen gewählt, um einen Staat aufzubauen, in dem die Menschen wohnen können. Wenn der Staat der Menschen so im Namen der Wahrheit errichtet ist, solltest du seine legitime Autorität in dem Winkel der Erde, in dem du lebst, schätzen. Deine Ehre sollte daher erstens an deiner Reflexion des Göttlichen gemessen werden und zweitens in den Augen deiner Mitmenschen. Der Mensch, der im Wald wandert, unkultiviert und von seinen Gefährten abgesondert, ist nicht geeignet, um an der Gemeinschaft mit dem Göttlichen teilzunehmen, noch an dem Reichtum der Freude teilzuhaben, der ihm vorbehalten ist. Sein Wesen wächst unter seinen Mitmenschen, sein Geist wird durch das Aufeinanderprallen der Meinungen gestärkt, aber sobald er einmal Mitglied der Gesellschaft ist, neigt er zu ständigem Streit, der aus Eigeninteresse und ungeordneten Leidenschaften entsteht, und seine Unschuld erliegt bald entweder der Gewalt oder der Täuschung. Deshalb hielt er es für notwendig, weltliche Gesetze zu schaffen, um ihn zu führen, und Anführer, um sie zu wahren.

(2) Vernünftiger Mensch, bete für deine Eltern; bete für diejenigen, die deinen Staat regieren, und bitte um ihre Erhaltung, denn sogar sie sollten Vertreter der Göttlichkeit auf Erden sein. Wenn sie sich irren, werden sie nach dem Bild des Richters der Könige gemessen. So sollte auch dein Herz dein König sein und seine Gesetze dein Gesetz. Also hüte dich, denn am Ende kannst du nur dich selbst verraten. Selbstbeherrschung ist deine heilige Pflicht, Selbstbeherrschung im Königreich der Menschen. Und wenn dein Herz nicht vor Freude zittert, wenn du das süße Geheimnis seines verborgenen Namens und seines verborgenen Königs hörst, würde unser Orden dich aus seinem Schoß vertreiben und dich für unwürdig halten, in unseren Reihen zu stehen. Denn wenn du bei dieser ersten Aufgabe deiner eigenen Regierung scheiterst, scheiterst du an ihrem eigentlichen Zweck: die vertrauenswürdige und geschätzte Residenz deiner eigenen Erhebung zu sein. Sei daher ein Patriot in deinem inneren Königreich, der wahrhaftigste Ehepartner deiner Ehe mit dem Himmel. Ziehe die Kinder deiner Seele groß, damit sie ihre eigenen Gesetze und die Pflichten daraus verstehen. Sei der mutigste Krieger, der aufrichtigste Richter, der weiseste Meister, der treueste Diener, der zärtlichste Elternteil, der beständigste Ehepartner, damit dein Kind zur Heiligung und Stärkung als freier Mensch auferweckt wird, freiwillig am Bau des Tempels der Wahrheit teilnimmt und sich niemals den Reihen der Schwachen anschließt; im Königreich der Heuchelei und des Meineids.

ARTIKEL IV – PFLICHT GEGENÜBER DER MENSCHHEIT

(1) Wenn sich dann die Grenzen deines Königreichs öffnen sollten, und wenn dein Herz sich dafür entscheidet, diese Grenzen deines Reiches zu überschreiten, und wenn dein Herz in Flammen aufgeht und an den Herzen anderer Menschen teilnimmt, dann wirst du sehen, dass alle Nationen auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen. Du wirst nicht übersehen, dass die Menschheit nur eine Familie ist; und du wirst alle Menschen schätzen, denn wir alle haben die gleichen Organe, das gleiche Bedürfnis zu lieben, den gleichen Wunsch, nützlich zu sein, und wir alle haben einen unsterblichen Geist wie deinen. Wenn dies geschehen sollte, dann zögere nicht: Komme in unseren Tempel und biete deine Huldigung der heiligen Menschheit an, denn das Universum ist die Heimat des Eingeweihten, und alles, was den Anschein des Menschen hat, ist ihm niemals fremd.

(2) Komm und nimm an diesem majestätischen Gebäude teil, das zur Wiederherstellung des Menschen entworfen und errichtet wurde; wertschätze die Versammlung der tugendhaften Seelen, die in ihre Erhöhung vertieft sind, weit verbreitet in allen Ländern, in denen die Vernunft und die Erleuchtung Einzug gehalten haben, triff dich unter dem heiligen Banner der Menschheit, das von einfachen und einheitlichen Gesetzen regiert wird. Fühle schließlich das erhabene Ziel unseres Heiligen Ordens; widme dein ganzes Leben und deine ganze Tätigkeit der Wohltätigkeit; veredle, reinige und stärke diesen Entschluss, indem du unermüdlich an deiner eigenen Vollkommenheit arbeitest und dich dem Göttlichen annäherst.

ARTIKEL V – WOHLTÄTIGKEIT

(1) Geschaffen nach dem Ebenbild Gottes, der sich dazu geruhte, sich der Menschheit mitzuteilen und Glück durch sie zu verbreiten; nähere dich diesem Beispiel des Unendlichen mit einem festen Willen, es unaufhörlich weiterzuentwickeln, und lasse die freudige Glückseligkeit auf andere überströmen bis zum Äußersten deiner Macht; denn was auch immer der Geist vom Göttlichen erfassen kann, ist das Erbe des Eingeweihten.

(2) Siehe die Ohnmacht der Kindheit; sie erfordert deine Unterstützung. Denke an die katastrophale Unerfahrenheit der Jugend, die deinen Rat erbittet. Benutze deine Freude, um sie vor Irrtümern und den Täuschungen, die sie bedrohen, zu bewahren. Errege in ihnen die Funken des Heiligen Feuers ihres Genius, hilf ihnen, ihn zur Freude der Welt zu entwickeln.

(3) Jedes Wesen, das leidet oder klagt, hat Rechte, heilige Rechte, gegenüber dir; achte darauf, sie nicht zu ignorieren! Zögere nicht, bis die Schreie des Elends dich zu langweilen beginnen, bevor sie dich anflehen; greife ein und beschwichtige diejenigen, die unglücklich sind, und besonders jene, die in der Stille leiden. Vergifte nicht durch die Zurschaustellung deiner Gaben die Quelle, welche die Unglücklichen aufsuchen, um erquickt zu werden; suche nicht den Lohn für dein Wohlwollen im nichtigen Applaus der Menge; denn der Eingeweihte sucht seinen einzigen Lohn in der Stille seines Gewissens und in der stärkenden Anerkennung des Göttlichen, unter deren Augen er immer aufrecht steht.

(4) Falls die Vorsehung dir einen Überschuss gewähren sollte, achte darauf, ihn nicht leichtfertig oder unbedacht zu verschwenden; denn die Weisheit würde es lieber wollen, dass dein Herz deinem Besitz gegenüber gleichgültig wird, und verteile frei und spontan deine Güter in gleichmäßiger Weise. Nur so kannst du genießen, welche Privilegien dir möglicherweise gewährt wurden. Hüte dich vor Gier, der schmutzigsten aller Leidenschaften, damit sie deinen Charakter nicht herabsetzt, und davor, dass dein Herz mit den kalten und trockenen Berechnungen, die sie mit sich bringt, verhärtet. Wenn du jemals plötzlich mit ihrem traurigen Atem der Eigenabsorption verkümmern solltest, verlasse unseren Tempel, denn er wäre für dich zu einem fremden Wohnsitz geworden, und wir würden in dir das ursprüngliche Bild des Göttlichen nicht mehr erkennen.

(5) Da deine Wohltätigkeit von der Religion erleuchtet wird, sollte deine Umsicht von der Weisheit erhellt werden. So wie dein Herz die ganze Menschheit umfassen würde, so muss auch dein Geist so weise wie möglich wählen, wo er sich einsetzen soll. Kultiviere ihn deshalb; ob durch Anweisung, Rat, Schutz oder Unterstützung. Aber glaub nie, dass du genug getan hast, und lass dich nie zurücklehnen, um die Früchte deiner Arbeit zu genießen. Übertriff! Kehre immer zu deiner Arbeit zurück, denn nur so wird deine Energie wiederaufgefüllt! So wirst du von ständigen Ausbrüchen erhabener Leidenschaft überflutet, eine unerschöpfliche Quelle von Freuden wird für dich vorbereitet sein: Du wirst auf dieser Erde den ersten Eindruck von himmlischem Glück erlangen, deine Seele wird wachsen, und alle Momente deines Lebens werden von der Ekstase des Geistes durchdrungen sein.

(6) Wenn du dich schließlich selbst bis an die Grenzen deiner endlichen Natur überschritten und dich selbst erschöpft hast, sodass du glauben solltest, dass du deine Arbeit nicht mehr ertragen kannst, dann lass deine Seele nie verzweifelt sein! Dann komm in unseren Tempel. Komm und sieh den hellen Glanz der Heiligen Kette, die uns vereint, und sie wird alle deine Fähigkeiten stärken, denn unser Feldzug gegen das Elend der Welt, wie die Eingeweihten ihn geführt haben, wird eine neue Welt hervorbringen; reif mit den süßen Früchten unserer vereinten Kräfte, wenn sie auf das gleiche Ziel ausgerichtet sind. Dann wird sich euer Reichtum vervielfachen, denn du wirst dabei helfen, tausend Menschen statt nur einen glücklich zu machen, und alle deine Wünsche werden gekrönt werden.

ARTIKEL VI – ANDERE MORALISCHE PFLICHTEN GEGENÜBER DER MENSCHHEIT

(1) Liebe deinen Nächsten wie dich selbst und tue ihm nie das an, was du nicht willst, dass dir getan werde. Diene dir selbst durch die erhabene Kraft der Stille und diene der Menschheit durch die erhabene Gabe des Wortes. Sein ein Zeichen für die Herrschaft der Menschheit über die Natur; geh und erfülle schweigend die Bedürfnisse anderer und geh lautstark, um in allen Herzen das Heilige Feuer des Geistes anzuregen. Sei gnädig, aber informell; steh aufrecht, um ein göttliches Beispiel zu sein. Teile das Glück anderer, sei nicht eifersüchtig darauf. Erlaube dir nicht, dass sich der Drang der Eifersucht, auch nicht für einen Moment, in deiner Brust regt, denn in ihrer Wurzel und durch ihre Kraft bringt sie die Ruhe deines Glückes durcheinander, und deine Seele wird dem Sturm der erbärmlichsten Furien ausgesetzt sein.

(2) Vergib deinem Feind; denn du kannst nicht rächen, was er sich selbst angetan hat. Denn über dieses fürstliche Opfer ist das erhabene Geheimnis der Religion zu finden: Indem du deinen Mitmenschen als dich selbst erkennst, bringst du ihn zurück zum Bild des Ewigen. Dies ist der einzige Zweck der Vergebung der Sünden und der himmlischste Akt des äußeren Menschen. So verbirgt sich die Gnade in der Gleichgültigkeit. Denke immer daran, dass dies der Triumph der Schönheit ist; die einzige Herrschaft des Willens über den Instinkt. Denn: Der Eingeweihte vergisst alle Beleidigungen, aber nie irgendwelche Wiedergutmachungen.

ARTIKEL VII – SITTLICHE VOLLKOMMENHEIT DEINER SELBST

(1) Wenn du dich dem Wohl anderer widmest, vergiss deine eigene Vollkommenheit nicht und vernachlässige nicht die Bedürfnisse deiner unsterblichen Seele. Steige oft in dein Herz hinab, um seine geheimsten Falten zu erforschen. Sich selbst zu kennen ist der Dreh- und Angelpunkt des Begehrens der Eingeweihten. Deine Seele ist ein zerbrochener Spiegel, der das Licht zerstreut; stelle es durch die Prüfungen deines Begehrens wieder her, damit es sein wahres Bild widerspiegelt.

(2) Reinheit und Strenge sollen deine unzertrennlichen Gefährten sein und dich vor den Augen der Profanen ehrbar machen und deine Seele rein, gerade, wahr und demütig machen. Stolz ist der gefährlichste Feind des Menschen, denn er hält ein illusorisches Vertrauen in seine Stärke aufrecht. Den weltlichen Geburtsort, aus dem du gekommen bist, solltest du nicht betrachten, es verlangsamt nur deine Reise. Richte deinen Blick dorthin, wo du ankommen musst. Deine Zeit für Reisen ist kurz; benutze sie gut und benutze sie jetzt! Beurteile dich niemals durch die Augen anderer; das ist bloße Selbstvergiftung deiner Seele. Messe dich an deinem eigenen Standard und fühle den Schmerz deines eigenen Schwertes!

(3) Wenn du redest, dann sprich die Wahrheit und nicht die Geheimnisse deines Herzens, und lass deine Lippen eine wahre und treue Waffe für dich sein. Der Eingeweihte, der sich der Wahrheit entledigt und die Maske der Heuchelei und des Gekünstelten trägt, wäre unwürdig, mit uns zu leben, und würde Misstrauen und Zwietracht in unseren friedlichen Tempeln säen, er würde bald zu einem Schrecken und einer Plage für sich selbst werden.

(4) Vergeistige dich in der Gegenwart des Ewigen, und du wirst gestärkt werden. Jeden Morgen erneuere dein Gelübde, dich zu verbessern; beobachte und bete, und wenn die Nacht kommt, wird dein Herz sein Zufluchtsort sein. Ebenso erneuere immer dein Göttliches Leben, und du wirst ruhig im Herzen des Ewigen ruhen, während du wach bist.

(5) Schließlich studiere die Bedeutung der Hieroglyphen und Embleme, die dir unser Orden präsentiert. Die Natur verschleiert ihre Geheimnisse, sehnt sich aber danach, dass sie gelüftet werden. Meditiere darüber und schätze, was du entdecken wirst. Denn diese Geheimnisse sind ein und dasselbe, und sie sind so gestaltet, dass der Mensch die Beziehung zwischen Gott, dem Universum und dir versteht. So werden deine Wünsche erfüllt, und dein Göttlicher Geist wird dich lehren, wie du deine Bestimmung schmieden kannst.

ARTIKEL VIII – PFLICHT GEGENÜBER DEINEN BRÜDERN UND SCHWESTERN

(1) Unter der großen Vielzahl an Wesen, welche die Unermesslichkeit unseres Universums bevölkern, hast du durch einen Akt des freien Willens die Eingeweihten als deine Brüder und Schwestern ausgewählt. Durch diesen Akt verlierst du deine spirituelle und moralische Abgeschiedenheit und erwachst, um Teil der Initiierten Bruderschaft der Menschheit zu werden. Denn von dem Moment an, an dem du diese Schwelle überschreitest, haben alle Wesen ein heiliges Recht auf deine Unterstützung und deine Freundschaft. Besonders jene, die du deine eigenen nennst. Denn wahrhaftig: Die Menschheit ist nur eine Familie, und nirgendwo ist ein Fremder zu finden. Deshalb lass deine rechte Hand offen allen Wesen gegenüber im Zeichen der brüderlichen Aufrichtigkeit sein. Aber lass die Offenbarung deines wahren Seins denen vorbehalten sein, die du für würdig erachtest. Die Natur folgt den Gesetzen der Gleichheit; es gibt keine wirklichen Unterschiede. So erliegt der Eingeweihte nie, einen anderen zu opfern, weder aus Gewinn noch aus Angst, weder hinsichtlich des Menschen noch des Staates. Die profane Welt misst den Wert des Menschen mit profanen Mitteln und trennt Gleichgestellte nach ihren weltlichen Leistungen, nach ihrem Reichtum oder nach anderen zufälligen Gütern, die ihnen die Vorsehung gegeben hat. All diese Dinge sind für uns wie Nichts. Lass deinen Stolz, deine Schätze und deine Abzeichen an der Tür unseres Tempels zurück und komm, wie du bist: Denn unter uns wird der Rang immer von der Tugend in den Schatten gestellt werden. Diesem Gesetz getreu widmet sich der Eingeweihte der Arbeit der Wiederherstellung des Tempels der Menschheit.

(2) Erröte niemals in Gegenwart eines Unbekannten. Lass niemals einen Fremden vor dir erröten. Denn alle Menschen sind von edler Geburt, und als Eingeweihter ist es deine heilige Pflicht, immer entsprechend zu handeln. Wenn du das nicht tust, würden wir dich mit deinem Stolz in die Welt zurückschicken, wo du dich am Theater der Welt aus freien Stücken profanisieren kannst. Sei ein Obdach und ein Zufluchtsort für andere, und der Ewige wird für immer dein Wohnsitz sein. Wenn dein Bruder in Gefahr ist, eil ihm zur Hilfe und zögere nicht, dein Leben für ihn zu geben. Aber erwarte nichts von deinen Brüdern, nicht einmal in äußerster Not. Wenn in Not, gewähre deinem Bruder deine Schätze und freu dich, dass du dazu in der Lage warst. Wenn dein Bruder sich verirrt, komm zu ihm und sei ein Spiegel für das Licht, das er im Dunkeln trägt. Unterstütze ihn, der taumelt, und erhöhe die Gefallenen.

(3) Wenn dein Herz durch Beleidigungen, echte oder eingebildete, geschwürig werden sollte oder geheime Feindschaft gegen einen deiner Brüder beherbergt, löse die aufsteigende Wolke sofort auf. Rufe den Unbekannten Heiligen Geist zu deiner Hilfe und bitte um seine brüderliche Vermittlung; aber überschreite nie die Schwelle des Tempels, bevor du nicht jedes Gefühl von Hass und Rache verbannt hast. Denn wenn dein Tempel nicht durch die Tugenden der Brüder gereinigt und durch ihre Harmonie geheiligt wird, würdest du vergeblich den Namen des Ewigen anrufen, und er würde sich nicht dazu herablassen, dich zu seinem Wohnsitz zu machen.

ARTIKEL IX – PFLICHT GEGENÜBER DEM ORDEN

(1) Wenn du schließlich zur freien Teilnahme an der Vereinigung der Eingeweihten zugelassen wurdest, hast du auch einen Teil deiner natürlichen Freiheit aufgegeben, indem du dich aus eigenem freien Willen verpflichtet hast, das Licht unaufhörlich zu suchen und es unverletzt zu erhalten. Denn durch diesen Akt bist du nicht mehr nur ein bloßer Forscher nach dem Mysterium, sondern du bist auch sein Hüter geworden. Dein Engagement für den Orden unterliegt seinen Regeln und seinen Vorgesetzten, aber du solltest niemals daran zweifeln, dass unsere Hierarchie eine Hierarchie des Wohlwollen ist: Du schuldest denen, die vor dir gegangen sind, nichts, aber alles denen, die dir nachfolgen. Das ist das Vermächtnis unseres spirituellen Erbes.

(2) Das Gesetz, das du in Gegenwart dessen, was du für am heiligsten hältst, geschworen hast, ist eine einzige ehrenvolle Vertrauensbezeugung: unsere Rituale, Zeremonien, Symbole und die Form unserer Vereinigung geheim zu halten. Hüte dich davor zu glauben, diese Verpflichtung sei weniger heilig als jeder andere Eid, jedes andere Wort, jede andere Tat oder jeder andere Gedanke, den du bekennst; denn alle deine Handlungen sind ein Spiegelbild der Ehre und Aufrichtigkeit deines Wesens. Du warst, bist und wirst für immer ein freier Mensch bleiben, aber wenn du den Eid brichst, den du geleistet hast, hast du vor dir selbst und mit deinem Wort vor dem Ewigen versagt, den du als Zeugen deines heiligen Versprechens angerufen hast. Fürchte keine Strafen oder Eidbrüche von uns, aber wisse, dass du weder der Strafe deines Herzens noch dem Verlust von Respekt und Vertrauen deiner Brüder entkommen kannst, die berechtigt wären, dich der Treu- und Ehrlosigkeit zu bezichtigen.

SCHLUSSFOLGERUNG

Wenn die Lehren, die der Orden dir darbietet, um den Weg der Wahrheit und des Glücks zu unterstützen, tief in dein Herz eingegraben sind und wenn sie es dem Ewigen öffnen, von wo aus es kommt, falls die wertvollen Grundsätze, die jeden Schritt auf deiner Einweihungsreise markieren werden, von dir in deine eigenen Prinzipien umgewandelt werden sollten und du selbst die unerschütterlichen Gesetze deiner Worte und Handlungen diktierst; dann, o mein Bruder, wäre das unsere reinste Freude, denn dann wirst du wahrhaft frei geworden sein! Du wirst deine erhabene Bestimmung erreichen: Du wirst die göttliche Ebenbildlichkeit wiederherstellen, die das Recht des Menschen in seinem ursprünglichen Zustand war.

Denn dies ist das Ziel aller Religionen und das einzige Ziel aller Initiationen: Du wirst wieder zu dem am meisten geschätzten Wesen des Himmels werden, und der großzügige Segen der Unendlichkeit wird zu dir kommen. Und wenn du den glorreichen Titel des Heiligen, Freien, Glücklichen und Beständigen erreicht hast, wirst du auf dieser Erde den Königen gleich, als Wohltäter der Menschen und als Beispiel für deine Brüder und Schwestern in der Gemeinschaft der Menschheit wandeln.